Ansprechen

Wann und Wie kann ich das Thema ansprechen?

Wenn Menschen selbst ihre Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben benennen, kann zielorientiert eine Lösung gesucht werden. Auf viele andere Betroffene trifft in der Begegnung das zu, was unter den ‚Mustern des Verbergens’ angeführt wurde. Es gibt günstige und ungünstige Situationen, Menschen auf Probleme mit dem Lesen und Schreiben anzusprechen. Manchmal erfolgt eine Ansprache auch spontan, weil es gerade darum geht, etwas auszufüllen oder weil ein bestimmtes Problem, das mit den Schriftsprachschwierigkeiten zu tun hat, besprochen wird. Mit anderen Betroffenen wollen Sie es vielleicht eher vorbereiten.

Rahmenbedingungen für eine vertrauensvolle Ansprache

Anonymität

Voraussetzung für jede Konfrontation mit dem Problem ist, dass es einen anonymen Rahmen gibt, d. h. es gibt keine weiteren Zuhörer und die Person kann sich darauf verlassen, dass die Informationen nicht der Öffentlichkeit preisgegeben werden.

Konfliktsituationen vermeiden

Sprechen Sie betroffene Menschen nicht auf das Problem an, wenn Sie gerade Konflikte mit ihnen auszutragen haben, Ihnen jemand mit Zorn und Ablehnung begegnet.

Multiproblemsituationen

Immer wieder wird gesagt, dass Menschen in den Beratungen schon so viele Probleme zu bewältigen haben. Wie soll dann noch Lesen-und-Schreibenlernen Platz haben? Dies ist ein Abwägungsprozess. Im Blick haben sollten Sie, dass das Lernen in einer Lerngruppe auch in den unterschiedlichsten Lebenssituationen Selbstvertrauen geben kann und eine Chance für manch andere Problembewältigung bietet.

Zeithaben kann wichtig sein

Wenn Sie Menschen auf ihre Probleme mit dem Lesen und Schreiben ansprechen, kann es manchmal passieren, dass eine ganze Lebens- und Leidensgeschichte auftaucht. Für das Erzählen sollte Zeit da sein und Wertschätzung entgegengebracht werden.

Auswege wissen

Wenn Sie Menschen darauf ansprechen, ist es wichtig, ihnen auch einen Ausweg aufzeigen zu können. Informieren Sie sich über die Lernangebote in Ihrem Ort und suchen Sie den persönlichen Kontakt zu den Kursleitenden.

Anlässe nicht umgehen

Es geht nicht darum, Menschen in peinliche Situationen zu bringen, aber die möglichen Lese- und Schreibsituationen sollten genutzt werden, um Menschen sicher zu erkennen und direkt auf die Schwierigkeiten ansprechen zu können.

Erkennen

Wie erkenne ich, dass die Menschen nicht richtig lesen und schreiben können?

Menschen, die nicht lesen und schreiben können, versuchen nach Möglichkeit, Situationen entweder zu vermeiden oder auszuweichen, in denen sie mit Lese- und Schreibanforderungen konfrontiert werden könnten.

Beispiele für das Vermeiden

  • Informationsveranstaltungen werden nicht besucht.
  • Beförderungen werden ausgeschlagen.
  • Einfache oder auch lukrativ erscheinende Aufgaben werden nicht übernommen.
  • Schriftlich zu erbringende Unterlagen und Nachweise fehlen.

Schreibanforderungen an Vertraute und Fremde delegieren

  • "Machen Sie das doch gleich mal."
  • "Sie können das besser."
  • "Das Formular nehme ich mit, ich mache das zu Hause."
  • "Den Arbeitsnachweis schreibe ich zu Hause."

Über Schwierigkeiten hinwegtäuschen

  • Sie zeigen den Behördenbrief und fragen: "Wo muss ich da hin?" oder "Was mache ich damit?"
  • "Ich habe meine Brille vergessen." oder "Ich habe meine Hand verletzt."
  • "Meine Bewerbung ist doch noch aktuell" "Die Schrift ist zu klein. Ich kann das nicht lesen."

Nichtverstehen schriftlicher Informationen

  • Schriftlich erteilten Aufforderungen, Einladungen (z.B. per Post) wird keine Folge geleistet.
  • Schriftliche Aufgabenstellungen werden nicht verstanden.
  • Den Inhalt eines vorgelegten Textes können Menschen nicht wiedergeben oder sich darüber nicht austauschen.

Lese- und Schreibtechniken

  • Menschen haben motorische Schwierigkeiten beim Schreiben.
  • Unterschriften sind gemalt und entsprechen nicht dem übrigen Schreibstil.
  • Die Arbeit an Texten, das Lesen und Schreiben wird nur sehr ungern ausgeführt.
  • Beim Ausfüllen von Formularen wird Hilfe benötigt.
  • In Schriftstücken gibt es sehr viele orthografische Fehler bis hin zu einer selbst entwickelten Schrift.

Sprachliche Ausdrucksformen

  • Funktionale Analphabeten drücken sich tendenziell einfach aus.
  • Sie bilden tendenziell eher kurze Sätze.
  • Sie benutzen eher selten Wörter zur chronologischen Einordnung (z. B. davor, danach, vorher).
  • Sie verzichten in der Regel auf ausführliche und detaillierte Beschreibungen von Situationen und Erlebnissen.

Fachartikel und Literatur

Der Sammelband "Grundbildung in der Lebenswelt verankern – Praxisbeispiele, Gelingensbedingungen und Perspektiven" gibt Einblicke in die Arbeit verschiedener Akteurinnen und Akteure im Kontext lebensweltorientierter Alphabetisierung und Grundbildung. Wbv-Verlag, Bielefeld 2022.

Der Sammelband "Grundbildung in der Arbeitswelt gestalten – Praxisbeispiele, Gelingensbedingungen und Perspektiven" ist eine Bilanz verschiedener Akteur*innen, die sich mit der Grundbildung und Alphabetisierung von Erwachsenen im Kontext der Arbeitswelt befassen.

Der WBV-Fachverlag mit sozialwissenschaftlichem Schwerpunkt publiziert Fachbücher zu den Themen Alphabetisierung und Grundbildung.

Der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung gibt im Waxmann-Verlag die Reihe Alphabetisierung und Grundbildung heraus.

FAQ / LEO

Die zweite LEO-Studie 2018 erfasst die Lese- und Schreibkompetenzen der Deutsch sprechenden erwachsenen Bevölkerung (18-64 Jahre) und berichtet dies für die Alpha-Levels im Lesen und Schreiben. Die Studie schreibt die Ergebnisse der LEO – LevelOne Studie aus dem Jahr 2010 fort (Grotlüschen & Riekmann 2012). Im Folgenden werden die wichtigsten Fragen bzw. Zahlen und Fakten zu der Studie erläutert.

Wie viele Erwachsene mit Lese- und Schreibschwierigkeiten gibt es in Deutschland?

6,2 Millionen Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren haben Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben. Das ist jeder achte Erwachsene, der Deutsch sprechen und verstehen kann. Für mehr als die Hälfte von ihnen ist Deutsch die Herkunftssprache. Das hat die vom BMBF geförderte LEO-Studie der Universität Hamburg festgestellt.

Infografiken zum Thema

Wie viele Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten gibt es in Deutschland überhaupt? Was sind die Ursachen und Merkmale? Wir haben die wichtigsten Informationen in unseren Infografiken dargestellt.

Was bedeutet Geringe Literalität?

Geringe Literalität bedeutet, dass eine Person allenfalls bis zur Ebene einfacher Sätze lesen und schreiben kann.

Wie viele Fähigkeiten im Lesen und Schreiben haben Personen mit Lese- und Schreibproblemen?

Das ist unterschiedlich. Mit den sogenannten Alpha-Levels versuchen Fachleute genauer zu beschreiben, welche Fähigkeiten jemand beim Lesen und Schreiben schon hat und welche noch nicht. Die Fachleute sprechen auch von "Literalität". Alpha-Level 1 ist dabei die Stufe mit den wenigsten Fähigkeiten.

Alpha-Level 1

Personen fällt es schwer, auch einzelne Buchstaben zu erkennen.

Alpha-Level 2

Personen können einzelne Wörter beim Lesen verstehen, müssen sie aber Buchstabe für Buchstabe zusammensetzen.

Alpha-Level 3

Personen können einzelne Sätze lesen oder schreiben. Sie sind aber nicht in der Lage, zusammenhängende Texte zu lesen oder zu schreiben.

Menschen mit Lese- und Schreibproblemen haben es in verschiedenen Bereichen schwerer, selbstständig am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Was man beim Lesen und Schreiben können muss, hängt von der Gesellschaft ab, in der man lebt, und welche Anforderungen es dort zu diesem Thema gibt.

Handeln

Das erste Gespräch

Hier ein paar Punkte, die Sie beachten sollten:

  • Den "richtigen" Zeitpunkt auswählen: Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl. Und sorgen Sie für eine ruhige, entspannte Lage.
  • Vertrauen herstellen: Bei dem Gespräch sollten möglichst keine anderen Personen außer Ihnen beiden dabei sein. Die Person muss sich darauf verlassen können, dass Sie das, was sie ihnen erzählt, nicht an andere weitersagen.
  • Auf Formulierungen achten: Vermeiden Sie Äußerungen wie: "Ich habe gemerkt, dass Sie Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben". Äußern Sie, was Sie wahrnehmen und vermuten. Zum Beispiel so: "Ich sehe gerade die Einladungskarte zu meinem Geburtstag. Die hatte ich dir vor zwei Wochen per Post geschickt. Du hast noch nicht geantwortet. Kann es sein, dass dir das Lesen schwerfällt?"
  • Zeit mitbringen: Wenn Sie jemanden auf die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben ansprechen, kann es passieren, dass die Person Ihnen ihre Lebensgeschichte erzählt. Das dauert lange. Hören Sie aufmerksam zu und fragen Sie ab und zu nach, wenn Sie etwas nicht verstanden haben. Versuchen Sie sich immer wieder vorzustellen, wie sich die andere Person fühlt. Das wird Ihnen und Ihrem Gegenüber helfen.

Mut machen

Machen Sie der Person Mut. Denn oft haben Menschen, die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben, nur wenig Selbstvertrauen. Häufig glauben sie, sie wären zu alt, um zu lernen. Aber das stimmt nicht!

Überlegen Sie gemeinsam, was sich alles verändern würde, wenn Ihr Verwandter, Ihre Freundin oder Ihr Kollege besser lesen und schreiben könnte:

  • Die Person müsste sich nicht mehr verstecken.
  • Die Person müsste andere nicht mehr um Hilfe bitten.
  • Die Person könnte beruflich etwas Neues wagen.
  • ...

Hilfe anbieten

Sie können helfen. Und das ist ziemlich einfach. Denn auch als Erwachsener kann man sich im Lesen und Schreiben noch verbessern. Dafür gibt es Kurse in ganz Deutschland. Wahrscheinlich auch in der Nähe von der Person, die Sie kennen. Das Lernen ist dort sehr entspannt. Wo ein passender Kurs ist, erfährt man bei Thüringer Grundbildungshotline.

Hilfe! Es hat nicht geklappt ☹

So vorsichtig Sie das Gespräch auch beginnen: Jemanden auf seine Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben anzusprechen, kann eine Konfrontation bedeuten: Einige erschrecken sich dann und sagen, sie hätten gar keine Probleme. Manche wollen vielleicht sogar den Raum verlassen. Egal, wie jemand reagiert: Zeigen Sie Verständnis. Manchmal ist es sinnvoll, aus der Situation „herauszugehen“ und das Gespräch an dieser Stelle zu beenden. Aber bieten Sie der Person an, dass Sie zu einem anderen Zeitpunkt ein offenes Ohr für sie haben.

Handreichung

Handreichung – Menschen, die nicht ausreichend lesen und schreiben können

Die Handreichung wurde im Rahmen des Projekts "PASS alpha – Pro Alphabetisierung. Wege in Sachsen" erarbeitet. Das Projekt wurde von 2005 bis 2006 durch das Sächsische Staatsministerium für Kultus gefördert. Sie wendet sich an alle Fachkräfte in Behörden und Institutionen, die in ihren Arbeitsvollzügen Menschen begegnen, die Schwierigkeiten im Umgang mit der Schriftsprache erkennen lassen.

Sensibilisierungs­angebote auf Abruf

Erwachsene mit Lese- und Schreibschwierigkeiten erkennen, ansprechen, informieren

Im beruflichen oder persönlichen Kontakt haben Sie hin und wieder die Vermutung, Ihr Gegenüber (Klient*in, Bekannte*r, Kolleg*in oder Ratsuchende) hat Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben, obwohl Sie mündlich gut miteinander kommunizieren können? Wir geben Ihnen grundlegende Informationen zum Thema Alphabetisierung und Grundbildung und mögliche Handlungsstrategien für einen wertschätzenden Umgang mit Menschen mit Schriftsprachproblemen. Außerdem erfahren Sie mehr über Lern- und Unterstützungsangebote in Ihrer Nähe.

Inhalt und Aufbau

Der Workshop vermittelt den teilnehmenden Fachkräften zunächst Hintergrundinformationen in Bezug auf geringe Literalität und veranschaulicht Lebenswirklichkeiten von Erwachsenen mit geringen Lese- und Schreibkompetenzen. Hierbei verdeutlicht er Erkennungsmerkmale geringer Literalität und reflektiert die besondere Rolle der Beratungsfachkräfte und die damit verbundenen Chancen zur Ansprache von betroffenen Personen. Im Hinblick auf Unterstützungsangebote und Vernetzungsmöglichkeiten mit Weiterbildungseinrichtungen, diskutieren die Teilnehmenden abschließend konkrete Möglichkeiten zur Ansprache und Motivation von Erwachsenen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten vor Ort.

Sie können den Anstoß geben, damit sich für den Betroffenen etwas ändern kann. Rufen Sie uns an. Unsere Thüringer Grundbildungshotline ist kostenfrei und anonym.